Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Wolfgang Seidl ist ein glücklicher Fleischer. Das war nicht immer so. „Die ersten zehn Jahre waren hart“, erzählt er. Sein Vater hatte ihn „verpflichtet“ den elterlichen Betrieb in Neunkirchen südlich von Wien zu übernehmen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre.
Und im Fleischerhandwerk kann zudem ein harter Umgangston herrschen. Heute sei das nicht mehr so, sagt Seidl. Aber Fleischer ist immer noch ein schwieriges Handwerk. Man ist vorsichtig geworden, misstrauisch, leidet unter schlechter Presse, für die man oft nichts kann. Steht im Preiskampf mit den Supermärkten und muss gegen viele Vorurteile bei kritischen Verbrauchern und Tierschützern kämpfen. Die Margen werden immer knapper. Viele geben auf.
Ob er neidisch auf die Bäcker sei, frage ich ihn. Die in Wien seit Kurzem vergleichsweise astronomische Preise für ihr Brot verlangen können. Neidisch nicht, lacht er. Aber die hätten es ein bisschen einfacher. Die Rohstoffe seien verfügbar, weniger kompliziert und nicht im Gerede. Ein Fleischer müsse sich die verarbeitungsfähigen Rohstoffe durch die Zerlegung erst erarbeiten. „Aber das sieht niemand. Wir betreiben ein genauso ordentliches Handwerk wie die Bäcker. Wir sollten und müssen viel selbstbewusster auftreten!“
Das tut Wolfgang Seidl, seit er mit ungefähr 30 Jahren sein Faible, ein Unternehmer zu sein, entdeckt hat. Und seinen Innovationsgeist. Heute zeigt er stolz auf seine vielen Auszeichnungen, die er und sein Team für ihre Produkte erreicht haben, beispielsweise der Adlitzgrabner Schluchtenspeck, die scharfe Rax, die Hühnerleberknödel, die Hühnerpastete im Glas. Besonders stolz ist Seidl auch, dass die traditionellen Produkte wie Frankfurter, Extra, Knacker, Leberkäse und Dürre immer wieder prämiert werden.
Wolfgang Seidl: Die Kraft der Regionalität
Seidl hat früh auf die Kraft der Regionalität gesetzt, als ihn andere dafür noch belächelt haben. Mitte der Nullerjahre hatte er, der auch mal Innungsmeister Stellvertreter von Niederösterreich war, schließlich die Idee, gemeinsam mit einigen Kollegen und den Landwirten vor Ort ein gemeinsames regionales Produkt zu entwickeln und zu positionieren, mit dem sie sich aus der ewigen Preis- und Qualitätsspirale nach unten befreien konnten: das Schneebergland Schwein.
Geboren, aufgezogen in der Region, gefüttert mit möglichst viel Futter, das ebenfalls aus dem Schneebergland stammt. Mit weniger Maisanteil, dafür mehr Getreide. Das ist gut für die Ausbildung von intramuskulärem Fett, was eine schöne Maserung des Fleisches ergibt. Das funktioniert nicht nur beim Fleisch der berühmten Wagyu-Rinder oder der Iberico-Schweine.
Das Schnitzel in der Pfanne schrumpft nicht und es wird ein besserer Geschmack entwickelt. „Ein Schnitzel vom Schneebergland Schwein schmeckt wie früher“, sagte ein Kunde zu Seidl. „Solche Geschmäcker speichert unser Hirn ab und löst Glücksgefühle aus, wenn es das wieder erleben darf. Junge Leute kennen oft aus eigener Erfahrung gar nicht mehr, wie sehr gutes Schweinefleisch schmecken kann.“
Ein Alleinstellungsmerkmal: Schneebergland Schwein
Ein paar Abstriche mussten Seidl und seine Mitstreiter (neun Bauern aus der Region, vier Fleischer und ein Schlachthof) machen: Es wird handelsübliches Soja zugekauft. In Österreich wird einfach zu wenig Soja produziert. Und wenn, dann zu einem Preis, der für ihn nicht realisierbar ist.
Da es im Schneebergland auch keinen großen Schlachtbetrieb gibt, führen sie die Schweine ins nahe Ilz in der Südoststeiermark, wo die Tiere bei der Fleischerei Turzer möglichst schonend und mit entsprechenden Ruhezeiten geschlachtet werden.
Die beteiligten Bauern haben 100 bis 200 Schweine im Stall stehen und arbeiten mit geschlossenem System, das heißt, sie bauen ihr Futter selbst an. Wer das nicht möchte, muss aus dem Verein austreten (das ist auch schon vorgekommen).
Das Frischfleisch wird auch nicht an den Großhandel oder LEH verkauft, obwohl es schon Anfragen gegeben hat. Das Fleisch vom Schneebergland Schwein soll ein Alleinstellungsmerkmal für die beteiligten Fleischereien sein. Die Produkte gehen über die Theken der beteiligten Fleischer oder direkt zu gastronomischen Betrieben in der Region.
Und das sind einige. Seidl nennt als Beispiele das Restaurant Osterbauer, das Gasthaus Beisteiner oder Tom’s Oase. Alles bodenständige Betriebe in Neunkirchen, die erkannt haben, dass es keinen großen Unterschied macht, ob die Portion Schnitzel im Einkauf 20 Cent mehr kostet. Dafür bekommt der Gast ein richtig gutes Stück Fleisch auf den Teller. Das kann man ihm auch sagen. Und muss ihm nicht Tönnies-Produkte unterjubeln. Das Schneebergland Schwein wird aber auch in Restaurants in Wien und Burgenland angeboten.
Seit Jahren im Trend: Genussregion Schneebergland Schwein
Damit bedienen Seidl und der Verein Schneebergland Schwein einen Trend. Deshalb wurde auch gleich nach Gründung 2007 die Genuss Region Schneebergland Schwein gegründet. Illusionen gibt sich der erfahrene Fleischer trotzdem keinen hin: „Ach, wissen Sie“, sagt er irgendwann, „vor dem Geschäft zählt beim Kunden noch die Qualität, Tierwohl, Fütterung und so weiter. Im Geschäft aber dann oft doch nur der Preis.“
Deshalb diskutiert Seidl gerne mit seinen Kundinnen. Erklärt ihnen, worauf es bei gutem Fleisch ankommt und dass die Qualität sich nicht von alleine einstellt. Dass seine Produkte deshalb ein kleines bisschen mehr kosten dürfen. Weil seine Lieferanten auch mehr gezahlt bekommen. Weil sie sich dann besser um ihre Tiere kümmern und ihnen vorteilhafteres Futter geben können. Und weil das alles eben ein kleines bisschen mehr kostet.
Seidl ist stolz auf die Produkte
Und so macht ihm sein Job Spaß. So kann er über weitere Innovationen nachdenken. Über Marketingmaßnahmen oder auch die neue Verkaufsapp, die er erst seit kurzer Zeit hat (Anm.: Fleisch & Co hat berichtet). Denn selbst, wenn man ein gutes Produkt hat wie das Schneebergland Schwein: Von allein verkauft es sich trotzdem nicht. Damit die Kundschaft wirklich anfängt umzudenken. Nicht nur eine Elite, sondern möglichst viele. Und damit weitere Kollegen auf den Qualitätszug aufspringen. Damit die Leute wieder verstehen, wofür das Fleischerhandwerk steht. Damit niemand mehr erschrecken muss, wenn die Presse anläutet. Damit wir nicht auf den nächsten Fleischskandal warten müssen. Damit auch die Bauern stolz auf ihr Produkt sein können, weil sie sehen, was damit geschieht. Weil auch sie dazu beitragen, dass eine jahrhundertealte Tradition in ihrer Region eine Zukunft hat. Damit auch sie keine anonymen Rädchen in einer immer absurder werdenden europäischen Fleischindustrie sind.
Weil Wolfgang Seidl stolz auf sein ehrliches Handwerk sein kann, haben seine beiden Söhne Matthias und Clemens beschlossen, das Geschäft zu übernehmen. „Dazu musste ich sie, anders als mein Vater nicht ‚verpflichten‘“, sagt Seidl und lächelt. Er fühlt sich jetzt auch in der Pension wohl.
Autor: Thomas Askan Vierich